BUNDESNETZWERK FACHPOLITIK FÜR ELTERN UND FAMILIEN
IN DER KINDER- UND JUGENDHILFE (BEFKJ) e. V.
-Stand: 24.Juli 2017-
Familien in Erzieherischen Hilfen und die Kinder- und Jugendhilfe –
Orientierungsleitende Anmerkungen, Positionen und Empfehlungen des BEFKJ
A) Einleitende Anmerkungen
Im Folgenden sind zentrale fachpolitische Leitlinien des BEFKJ zusammengefasst. Diese haben insbesondere zum Ziel, das Verhältnis der Kinder- und Jugendhilfe zu leiblichen Eltern und Familien, deren Kinder in Heimen und Pflegefamilien untergebracht sind, neu auszutarieren: Eltern, deren Kinder fremduntergebracht sind, bleiben Eltern. Dabei geht es vor allem um eine konsequente Einbeziehung von Eltern in die Fremdunterbringung. Dies schließt die Zusammenarbeit mit den Eltern und deren Unterstützung eng mit ein. Dies alles ist im Interesse der betroffenen Kinder. Dort, wo leibliche Familien ihre Kinder (noch) nicht wieder eigenverantwortlich versorgen und erziehen können, sollen sie sich nach ihren Möglichkeiten in die Entwicklung ihres Kindes einbringen und diese fördern.
Herkunftsfamilien in der Kinder- und Jugendhilfe
Sobald Kinderund Jugendliche im Rahmen der §§27ff SGB VIII fremduntergebracht werden, werden ihre Familien zu „Herkunftsfamilien“. Obschon ein Großteil der Eltern die Fremdunterbringung mehr oder weniger „freiwillig“ beantragen, zumeist auch noch rechtlich die elterliche Sorge ausübten, erfahren sie mit dem Übergang von der Familie zur Herkunftsfamilie einen erheblichen Bedeutungsverlust. Dieser bezieht sich zunächst primär darauf, dass sie eigenverantwortlich nicht mehr die Erziehung und Entwicklung ihres Kindes bestimmen und gestalten können, sondern sie müssen sich auf die Vorgaben der sozialstaatlichen Akteure (soziale Dienste, Pflegeeltern, Erzieher_innen etc.) einlassen. Die Fremdunterbringung ist aus der Sicht der sozialstaatlichen Akteure, insbesondere der öffentlichen Träger in der Kinder- und Jugendhilfe, offensichtlich das Überschreiten einer „elterlichen Grenzlinie“, die entsprechende Folgen haben: Ihnen werden elterliche und erzieherische Kompetenzen weitgehend abgesprochen und sie sind oftmals nur noch „formal“ als biologische Eltern von Bedeutung, ohne dass ihre erzieherischen Zielvorstellungen und elterlichen Wünsche und Erwartungen an die Entwicklung ihres Kindes nachhaltig berücksichtigt würden.
Diese Haltung der sozialen Dienste gegenüber leiblichen Familien fremduntergebrachter Kinder wird den Eltern nicht gerecht: Gerade weil sie die Verantwortung für ihre Kinder übernehmen, entscheiden sie sich häufig für eine „Partnerschaft“ mit den professionellen sozialen Diensten.
Familien in der Kinder- und Jugendhilfe bleiben auch dann Eltern ihrer Kinder, wenn diese fremdunterbringende Hilfen im Rahmen der Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff SGB VIII annehmen (müssen). Um den Eltern selbst, aber auch den weiteren beteiligten Akteuren ein angemessenes „gesellschaftliches Rollenskript“ zu ermöglichen, wird deshalb vorgeschlagen, die Zusammenarbeit zwischen Fachkräften/ Pflegefamilien und den leiblichen Familien als Modell einer „Family-Partnership“ zu strukturieren. So bleiben auf der Grundlage des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG die Eltern in ihrer Elternverantwortung und die Kinder- und Jugendhilfe auf der Grundlage des SGB VIII (insbesondere die §§27ff) in ihrer Verantwortung für die Unterstützung von Kind und Eltern („Elternarbeit“), wie sie vor allem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den letzten Jahren unter dem Terminus „Öffentliche Hilfen“ immer wieder deutlich hervorgehoben wurde. Für die Zeit der Fremdunterbringung begründen die Beteiligten eine Erziehungspartnerschaft, die zu einer engen und transparenten Zusammenarbeit verpflichtet. Konfliktsituationen sind über die Fachkräfte „nachhaltig“ (konstruktiv) zu lösen bzw. zu gestalten.
Herkunftseltern sind überfordert – aber keine schlechten Eltern!
Mit Blick auf die biografischen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen zeigt sich, dass die leiblichen Eltern fremduntergebrachter Kinder eine insgesamt schwierige Ausgangslage für die Erziehung und Entwicklungsförderung ihrer Kinder haben: Sie sind oftmals selbst in benachteiligten Verhältnissen aufgewachsen und leben auch aktuell zumeist in Lebensverhältnissen, die vielfach auch andere Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordern würden. Dennoch schaffen die meisten es, ihre Familie zu versorgen und den noch anwesenden Kindern gute Eltern zu sein. Freilich gibt es auch eine geringe Anzahl von Eltern, deren biografische Deprivationen sich mit den aktuell schlechten Lebenslagen so dynamisieren, dass sie aus solchen schwierigen „Verlaufskurven“ kaum herausfinden können und deshalb ihre Kinder möglicherweise auf Dauer fremduntergebracht werden müssen. Das gilt aber nur für wenige Familien. Aber auch für sie muss gelten, dass sie als Eltern ihrer Kinder einen Anspruch darauf haben, Erziehungskompetenzen erwerben und mit ihren Kindern in regelmäßigem Kontakt bleiben zu können.
Gleichwohl aber sieht die gegenwärtige Kinder- und Jugendhilfepraxis überwiegend so aus: Mit der Fremdunterbringung der Kinder werden auch zumeist die Bemühungen um eine gezielte Verbesserung der Lebensverhältnisse und eine unterstützende Begleitung durch das Jugendamt und die sozialen Dienste weitgehend eingestellt bzw. vielfach nicht im erforderlichen Umfang und Qualität durchgeführt. So bleiben Eltern auf ihren Problemen sitzen. Das, was erforderlich und notwendig wäre, nämlich die Vermittlung sowohl sozioökonomischer Hilfen als auch eine Stärkung der erzieherischen Kompetenzen sowie in Einzelfällen weitergehende therapeutische und soziale Hilfen, unterbleibt in den meisten Fällen. Eine ganzheitliche Elternarbeit mit der erforderlichen Intensität findet so zu allermeist nicht statt. Um einen Eindruck über die Elternarbeitsbedarfe zu vermitteln, soll hier darauf verwiesen werden, dass zumindest im ersten (halben) Jahr der Fremdunterbringung es einer etwa 14-tägigen Elternarbeitsphase bedarf, flankiert durch entsprechende Elternbildungsangebote. Nur so können nachhaltige qualitative Veränderungen auch im erzieherischen und familiären Verhalten der Eltern ermöglicht werden.
Die Angebote der Hilfen zur Erziehung sind rechtlich in erster Linie als (vorübergehende) Unterstützungsleistungen für die Eltern/ Familien konzipiert und zielen auf Reintegration und Restabilisierung sowohl des Kindes als auch seiner Familie ab.
Die Pflegekindschaft reiht sich insoweit in die Angebote der Hilfen zur Erziehung ein und darf nicht als „weichere Adoption“ etabliert werden. Alles, was für das Pflegekinderwesen an Rechtsnormen möglich ist, muss auch für die Heimerziehung als Rechtsnormen gelten: Auch dort knüpfen Kinder und Erzieher_innen Bindungen.